Alle, Belletristik · 8. Dezember 2025 „Die Schrecken der anderen“ – Martina Clavadetscher
Das Buch in einem Satz: Ein toter im Eissee führt den Archivar Schibig bei seinen Ermittlungen zu einem Komplott in der Schweiz, das bis heute im Hintergrund agiert.
Lesenswert, weil die Sprache, die Enthüllungen und der dramatische Aufbau des Romans sehr beeindruckend sind.
Für alle, denen „Deutsches Haus“ von Annette Hess und „Das Haus über dem Fjord“ von Kristin Valla gefallen hat.
Gute Textstelle: „Niemand will wahrhaben, dass Ablenkungen in Wahrheit bloß wortlose Ausreden sind.“ (S. 185)
Alles beginnt mit einem Toten, den ein Junge beim Schlittschuhfahren im zugefrorenen See entdeckt. Der etwas eigenbrötlerische Archivar Schibig gerät eher zufällig in die Ermittlungen und lernt dabei Rosa kennen, eine widerspenstige Frau, die einst in diesem Dorf in der Schweiz gelebt hat und nun zurückgekehrt ist.
Parallel zu den beiden lernen wir den Millionär Kern kennen, der mit seiner Frau und seiner alten Mutter unter einem Dach wohnt. Seine Mutter, die sich mit allerhand beinahe schon fragwürdigen Zutaten und Rituale in die Nachwuchsbestrebungen ihres Sohnes einmischt, krallt sich mit aller Kraft an ihr eigenes Leben und das ihres Sohnes fest. Dieser ist ein angesehener Bürger und Mitglied in einem patriotischen Männerbund mit Zylinder, der das Leben vor Ort fest im Griff zu haben scheint. Selbst eher passiv schaut Kern zu, wie sich die Dinge entwickeln.
Selbstverständlich sind diese beiden Handlungsstränge miteinander verwoben, doch erst nach und nach finden Schibig und Rosa Verbindungen, die anscheinend bis heute nachwirken.
Was wie ein Kriminalfall beginnt, wird hier zu einer vielschichtigen Familiengeschichte mit immensem Tiefgang. Es stellt sich die Frage nach Verantwortung und Wissen; denn Wissen haben und mit diesem Wissen auch zu handeln, sind zwei völlig verschieden Dinge. Martina Clavadetscher verwendet eine bildgewaltige Sprache, um die Spannung bis zum Ende mehr und mehr zu steigern, und ich habe vieles an Zitaten im Buch markiert (es lebe das Washitape)!
Vielen Dank an den @c.h.beckliteratur für das Leseexemplar.
Eure Anja

