„E. E.“ von Olga Tokarczuk

Das Buch in einem Satz: Nach einem Anfall ist die 15-jährige Erna in der Lage, sich mit Toten zu unterhalten und Geister zu sehen – oder?

Lesenswert, weil hier Séancen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden und die Figuren eigene Interessen an den Geisterbeschwörungen haben.

Für alle, die sich für den Spiritismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessieren.

Gute Textstelle: „Aus dem Nebel der Unbestimmtheit, wie er führ gewöhnlich die Existenz mittlerer Töchter in kinderreichen Familien umgibt, trat Erna Etzner einige Tage nach ihrem 15. Geburtstag – als sie am Mittagstisch ohnmächtig wurde.“ S. 9

Was für ein vielversprechender 1. Satz! Ich war schlagartig im Bann dieser Familie, die so viele Geheimnisse, Bedürfnisse und Unausgesprochenes verbirgt, das ich alles ergründen wollte. Es geht um die Familie Etzner, die viele Kinder hat. Da wir in Breslau um 1908 sind, sind die Rollenbilder klar verteilt. Diese eintönige Idylle wird plötzlich aufgebrochen, als Frau Etzner erkennt, dass ihre Tochter Erna Tote und Geister sehen kann. Schlagartig füllt sich ihr Salon, wenn ihr Gatte mal wieder auf einer seiner Dienstreisen ist, mit Spiritisten aller Art. Aber auch der junge und ehrgeizige Arthur Schatzmann, seines Zeichens Wissenschaftler und skeptisch gegenüber diesem Phänomen, kommt zu den Séancen.

Als Leser:in ist man sofort auf Seite von Dr. Schatzmann, der hier sehr charismatisch und eben auch skeptisch auftritt. Die Mutter von Erna genießt die Aufmerksamkeit und den Besuch in ihrem Haus, während sich der kleine Beamte Herr Frommer plötzlich im Mittelpunkt sonnt, da er sich Ernas als Mentor annimmt.

Hier treffen also verschiedenste Interessen aufeinander und werden vermengt. Ist das alles wahr oder bloß Lug und Trug? Es hat Spaß gemacht, die Interessen der einzelnen Besucher zu verfolgen und mehr und mehr über sie zu erfahren. Olga Tokarczuk schreibt beinahe gemütlich und ruhig und ist dabei tiefgründig wie eh und je. Ich bin ein Fan dieser Autorin, auch wenn bislang nichts an ihren Roman „Empusion“ rankommt 😉


Eure Anja